Freitag, 8. Oktober 2010

Mit meinem Vater in Auschwitz

Der Ort war von surrealer Schönheit an diesem Herbsttag, an dem die Herbstsonne auf den Herbstwald schien und das Rot der Backsteinhäuser mit den Blättern um die Wette leuchtete. Dieser Ort indessen war das Symbol der Negation von Humanität, Emblem absoluter Zerstörung und Unmenschlichkeit, Zeichen von Perversion und Destruktion.

Was machten wir dort? Nach zwanzig Jahren eine erste gemeinsame Reise, mit meinem Vater, ein Verhältnis, welches ‚ganz ok’ ist, ohne Katastrophen und Vorwürfe, ohne große Vertrautheit und überbordende Herzlichkeit, ganz Verhältnis eines im kalten Nachkriegsdeutschland groß gewordenen zu seinem in den nützlichen 1970ern geborenen Sohn. Nützlich. Gesprächsthemen waren Bausparpläne, Haftpflichtversicherungen, Monatskarten, Politik. Das Drängen meines Vaters auf eine gemeinsame Reise nach Südpolen, nach Auschwitz überraschte mich, freute mich auch irgendwie, und so saßen wir im Flugzeug nach Krakau.

Die Führung im Lager war perfekt, warmherzig und sensibel, klar und mit der nötigen Distanz versehen, man merkte den Leuten an, dass jeder einen Weg finden musste, mit dem Erklärten umzugehen. Die Koffer der Deportierten haben mich am meisten mitgenommen, bei Anderen waren es die Haare, die Brillen, die Schuhe, die Kinder. Oder die Bahnschienen, die Selektionsrampe.

Was taten wir dort? Familiengeschichte betreiben. Langsam verstand ich das Ansinnen meines Vaters: die Leere füllen, sein Vater, das Parteimitglied, das Reeducation-Lager der Briten, die Leere zu Hause, die Scham der Kinder, das Schweigen und die harte Hand. Versuchen, die Leere zu füllen und zwar mit seinem Sohn. Mich verstand ich auch: meine Versuche, die Leere zu füllen mit Büchern, Romanen, Dokumentationen und immer wieder Israel. Und wie Traumata und Verletzungen unausgesprochen von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Pourquoi Israël ? Warum Israel ? ist ein Film von Claude Lanzmann. Darum Israel ist die einfache Antwort, mehr denn je.


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